Gothics sind keine Satanisten! – Oder vielleicht doch? Teil 2 – Satanismus: Entstehung und Entwicklung der gefürchteten Religion

Satan plagt Hiob, um ihn auf die Probe zu stellen. (Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Blake_Book_of_Job_Linell_set_6.jpg
Satan plagt Hiob, um ihn auf die Probe zu stellen. (Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Blake_Book_of_Job_Linell_set_6.jpg)

Beginnen wir mit dem Begriff „Satan“. Das Wort stammt aus dem Hebräischen (Ha-Satan) und bedeutet „Ankläger“. Der jüdische Ha-Satan ist allerdings nicht der Gegenspieler Gottes, sondern der Ankläger der Menschen. Er handelt im Auftrag Gottes und wird nicht mit dem Attribut „böse“ versehen (auf den Gut-Böse-Dualismus wird später noch eingegangen). Zum monströsen Menschenfeind und Gegenspieler Gottes wird der „Satan“ erst bei den Christen. Das Christentum fußt auf dem Zoroatrismus, in dem es diesen Streit zwischen einem „guten“ und einem „bösen“ Gott gibt. Die Christen übernahmen große Teile des Zoroatrismus und machten JHWH zum guten Gott und Satan zu seinem Gegner, der mit der Weiterentwicklung der Religion seinen gleichwertigen Götterstatus verlor und zu einem gefallenen Engel wurde.

Gott ist die höchste Instanz im Christentum und gilt als allmächtig, allwissend und vollkommen, die Bibel gilt als sein Wort. Wer diese „Wahrheit“ anzweifelt, wurde vom Satan verführt. Worin derart fundamentalistische Überzeugungen führten, ist allgemein bekannt: Inquisition und Hexenverbrennung. Allerdings landete nie ein als solcher bezeichnete „Satanist“ auf dem Scheiterhaufen – zumindest ist keine historische Quelle bekannt, die darauf schließen lassen könnte. Aber man hatte schon einige Kriterien bestimmt, die einen zum Sympathisanten des Teufels machten: Wer Gott, Jesus, die Bibel, die christlichen Moralvorstellungen oder die Kirche anzweifelte, war mit dem Satan im Bunde und raubte, mordete, opferte Kinder, Jungfrauen und Tiere und frönte der fleischlichen Lust. Es entstanden Mythen um Teufelskulte, deren tatsächliche Existenz heutzutage allerdings zurecht stark angezweifelt wird.

Die Scheiterhaufen hatten ja zum Glück irgendwann mal ein Ende, aber mit der Diffamierung als „Satanist“ war es

George Gordon Noel, 6th Baron Byron (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d4/Byron_1824.jpg
George Gordon Noel, 6th Baron Byron (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d4/Byron_1824.jpg)

bis dato noch lange nicht vorbei. Robert Southey, ein konservativer Dichter der Romantik, bezeichnete die literarischen Werke und allgemein den Lebensstil von Lord Byron als „satanistisch“. Byron war inspiriert von John Milton (17. Jh.), dem ersten Autor, der in seinem Werk „Paradise Lost“ ein Bild von einem Satan zeichnete, der bei Weitem nicht die bösartige Bestie war, die man sich im Christentum darunter vorstellt. (Der Satz „Better to reign in hell than serve in Heaven“ wurde übrigens von zahlreichen zeitgenössischen Musikern der Gothic- und der Metal-Szene aufgegriffen und verarbeitet, in Anlehnung an den rebellischen Gedanken, der diesem Satz zugrunde liegt.) Das Bild des Satans, welches hier gezeichnet wird, ist das eines romantischen Rebellen, der die etablierten Werte anzweifelt und sich gegen die Autoritäten stellt, um seinen eigenen Weg zu gehen. Lord Byron wird allerdings ebenso dem Genre der Schauerromantik zugeordnet und dürfte die wichtigste Schnittstelle zwischen dem literarischen Gothic und dem literarischen Satanismus darstellen. Enge Freunde von Lord Byron waren Frankenstein-Autorin Mary Shelley und Vampyr-Autor John Polidori, es entstand also sozusagen eine „satanistische Schule“. (Als weitere „satanistische“ Autoren werden heute die auch in der Gothic Szene oft gern gelesenen William Blake, der Marquis de Sade, Charles Baudelaire und E.T.A. Hoffmann, Giosuè Carducci und Hermann Hesse klassifiziert.) Jedoch war das Wort „Satanismus“ nach wie vor eine Fremdbezeichnung. Es ist nicht belegt, dass diese Autoren sich selbst „Satanisten“ nannten oder eine Religion namens „Satanismus“ praktizierten.

Darstellung des Satan in John Miltons "Paradise Lost" (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/90/GustaveDoreParadiseLostSatanProfile.jpg)
Darstellung des Satan in John Miltons „Paradise Lost“

Ansätze eines praktizierten Satanismus‘ finden wir schon eher beim Hellfire Club im England des 18. Jahrhunderts. Hier frönten auserwählte Adlige fleischlichen Gelüsten und praktizierten okkultistische Rituale als eine Persiflage auf das Christentum. Jedoch nannte sich dieser Personenkreis selbst weder Hellfire Club noch verstanden sich die Mitglieder als „Satanisten“. Auch hier handelte es sich um eine reine Fremdbezeichnung, mit der ein Mythos einer „satanistischen Religion“ einherging – wie gesagt, ein Mythos!

Als Begründer der satanistischen Religion wird häufig Aleister Crowley bezeichnet, aber auch das ist nicht richtig. Crowley spielte jenen in die Hand, die aus dem Mythos der satanistischen Religion durch Belege Wirklichkeit machen wollten: Er war Okkultist, (Schwarz-)Magier, nannte sich selbst das „Tier 666“ und beleidigte Jesus und Mohammed, das passte doch ganz gut ins Bild. Dummerweise nannte er sein System nicht „Satanismus“ sondern „Thelema“. Crowleys Anhänger bezeichnen sich selbst als „Thelemiten“, nicht als „Satanisten“. Trotzdem wurde nichts unversucht gelassen, um aus Crowley den Begründer des Satanismus‘ zu machen und dieses Gerücht konnte sich bis heute hartnäckig halten.

Aleister Crowley - Begründer der Religion "Thelema" (Quelle: http://hilobrow.com/wp-content/uploads/2009/10/Aleister_Crowley.jpg
Aleister Crowley – Begründer der Religion „Thelema“ (Quelle: http://hilobrow.com/wp-content/uploads/2009/10/Aleister_Crowley.jpg)
Anton Szandor LaVey - Begründer der Church of Satan (Quelle: http://www.whale.to/b/images/satanists/lavey1.jpg
Anton Szandor LaVey – Begründer der Church of Satan (Quelle: http://www.whale.to/b/images/satanists/lavey1.jpg)

Der erste tatsächliche Beleg für eine Religion namens „Satanismus“, die auch ein in einem Manifest kodifiziertes Dogma aufweist und einen Personenkreis mit sich zieht, der sich selbst als „Satanisten“ versteht, kam erst relativ spät, nämlich 1966, auf die Bildfläche. Anton Szandor LaVey war nach bisherigem Forschungsstand nachweislich der Erste, der sich selbst als Satanist bezeichnete und 1966 eine Satanskirche gründete. 1969 kodifizierte er in seiner „Satanischen Bibel“ ein religiöses Dogma und hatte zu der Zeit bereits einige Anhänger, die sich selbst „Satanisten“ nannten. Erst ab dieser Zeit kann man von einer tatsächlich existenten satanistischen Religion und „Glaubensgemeinschaft“ reden.

Eine ausführliche Beschreibung der philosophischen Inhalte würde den Rahmen sprengen. Die „Satanische Bibel“ kann in deutscher und in englischer Sprache als kostenfreies PDF im Internet heruntergeladen werden. Hier soll sich nur auf die wesentlichen Punkte beschränkt werden. LaVey formulierte 9 Satanistische Statements, die den Kern der Religion ganz gut erklären:

The Satanic Bible by Anton Szandor LaVey (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/thumb/9/97/The_Satanic_Bible_%28book_cover%29.jpg/180px-The_Satanic_Bible_%28book_cover%29.jpg
The Satanic Bible by Anton Szandor LaVey (Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/thumb/9/97/The_Satanic_Bible_%28book_cover%29.jpg/180px-The_Satanic_Bible_%28book_cover%29.jpg)

 

1. Satan repräsentiert Hingabe, anstatt Enthaltsamkeit!

2. Satan repräsentiert vitale Existenz, anstatt spiritueller Wunschträume!

3. Satan repräsentiert reine Weisheit, anstatt heuchlerischer Selbsttäuschung!

4. Satan repräsentiert Güte gegenüber denen, die sie verdienen, anstatt an Undankbare verschwendete Liebe!

5. Satan repräsentiert Vergeltung, anstatt Darbieten der anderen Wange!

6. Satan repräsentiert Verantwortlichkeit für die Verantwortlichen, anstatt Sorge für psychische Vampire!

7. Satan repräsentiert den Menschen als nur ein weiteres Tier, manchmal besser, meistens schlechter als diejenigen, die auf allen Vieren gehen, da er aufgrund seiner „göttlichen, spirituellen und intellektuellen Entwicklung“ das bösartigste Tier von allen geworden ist!

8. Satan repräsentiert alle der sogenannten Sünden, da sie alle zu physischer, geistiger oder emotionaler Befriedigung führen!

9. Satan ist der beste Freund, den die Kirche jemals hatte, da er sie all die Jahre im Geschäft gehalten hat!

LaVey zauberte sich hier keine willkürliche Satanismus-Definition aus dem Hut, sondern stellt zum Einen durchaus Bezüge zum literarischen Satanismus sowie zu diversen Philosophen und Autoren her, die in dieses Weltbild passen, zum Beispiel Epikur, Ayn Rand, Friedrich Nietzsche und Ragnar Redbeard. Zum Anderen passt LaVeys Satanismus auch ganz gut zu dem, was sich die Kirche so vorgestellt hatte (mal davon abgesehen, dass  Satanisten keine blutrünstigen (Ritual-)Mörder sind): LaVey leugnete die Existenz Gottes und stellte stattdessen den Menschen in den Mittelpunkt („Deus est Homo“) und begründete diese These damit, dass der Mensch sich seit jeher seine Götter selbst geschaffen habe. Warum sollte der Mensch also nicht sich selbst der eigene Gott sein und sich selbst als Mittelpunkt seines Lebens betrachten? Aber nicht nur das, er verurteilte auch die christlichen Werte als lebensverneinend und menschenfeindlich und proklamierte stattdessen die 7 Todsünden der katholischen Kirche (Neid, Gier, Eitelkeit, Wolllust, Gefräßigkeit, Zorn, Faulheit), da diese zu wahrhaftiger Erfüllung des menschlichen Daseins führten. Und zu guter Letzt widmet LaVey in seiner Satanischen Bibel zwei ganze Teile der satanistischen Magie und der Inszenierung von Ritualen. Allerdings glaubte LaVey nicht an den Satan als eine Art Person oder eigenständig denkende Instanz. „Satan“ ist ein Symbol, das gewisse Eigenschaften verkörpert, wie z. B. Stolz, Zweifel, Rebellion, Stärke, Anmut, Scharfsinn und Materialismus. In den satanistischen Ritualen geht es also nicht darum, Geisterwesen zu beschwören, sondern ein Ritual ist die Inszenierung eines Psychodramas, um „die Psyche zu reinigen“. Bei den in der Satanischen Bibel beschriebenen Ritualen gibt es allerdings keine Opferungen. Im Gegenteil: LaVey bezeichnet derartige Praktiken als völlig sinnbefreit und einer Kanalisierung eigener Emotionen keineswegs dienlich.

Einige Schnittstellen von Gothic und Satanismus dürften schon klar geworden sein. Ein ausführlicheres Statement folgt dann allerdings erst in Teil 3: Die Schnittstellen von Gothic und Satanismus.
Dort wird es dann abschließend noch eine themenbezogene Buchrezension geben.

About Mustaveri

Alter: 28 Beruf: Übersetzerin (freiberuflich) Lieblingmusik: Metal (Death, Dark, Black, Thrash, Symphonic, Gothic) Hobbys: Musik, Sport, Schreiben, Kunst, Kochen

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